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Bergwerksbetriebe in der nordchilenischen Pampa

Der ganze Staat Chile lebt von den Bodenschätzen der Kordillere. Dieser Hochgebirgszug, der längs der ganzen Westküste Südamerikas verläuft, enthält Gold, Silber, Kupfer und Kohle, aber das wichtigste Fundobjekt ist der weltberühmte Chilesalpeter, bei dessen Verdrängung aus dem Konsum durch den künstlichen Salpeter der Staat Chile zusammenbrechen müßte. Er lebt nämlich nicht nur von der Exportabgabe, sondern auch davon, daß die Bodenfrüchte seiner südlichen Ackerbauzone von den Salpeterleuten im unfruchtbaren Norden konsumiert werden.

Wie fast sämtliche große Unternehmungen und Industrien Südamerikas halten auch die Gewinnung des Salpeters in Chile Ausländer in ihrer Hand. An erster Stelle steht England, an vierter mit 15 Prozent der Erzeugung, das sind zwei Millionen Tonnen im Jahr, Deutschland. Sämtliche Erzeugungsstätten, Oficinas genannt, sind zu einem Trust zusammengeschlossen, in dem die kleinste Firma ebenso wie die größte Sitz und Stimme hat; da die kleinen Firmen nur bei hohen Preisen existieren können, zwingen sie mit ihrer Majorität die großen, ebenfalls teuer zu verkaufen. Die unmittelbare Folge davon ist, daß das Chilesalpeter vom künstlichen unterboten wird, der auch dabei noch gute Preise erzielen und seine Qualitäten vervollkommnen kann. Wenngleich es jetzt noch nicht sämtliche Eigenschaften des Naturproduktes erreicht hat, wird es doch ob seiner Billigkeit bevorzugt, und die Nachfrage nach dem Chilesalpeter geht zurück, so daß der Export kontingentiert werden muß und die großen Firmen nicht mit voller Kraft arbeiten können.

Eine der größten Salpeter-Oficinen gehört der Compania Salitrera de Taltal, früher der Firma Deutsche Salpeterwerke, vormals Fölsch & Martin Nachfl. A.-G., deren Verwalter mich gastfrei zur Besichtigung des interessanten Unternehmens einlud. Die Reise dorthin ist nicht ganz einfach. Man steigt am Sonnabend in den einmal in der Woche verkehrenden Zug der berühmten Longitudinalbahn in Santiago, der Hauptstadt von Chile, und am Dienstagmorgen nach ununterbrochener Reise in der zu dem Werk gehörenden Hauptstation aus; von hier wird man dann mit einem Schienenauto zur Oficina gebracht. Mit nichts auf Erden vergleichbar ist der Anblick dieser modernen Riesenwerke inmitten einer gelben Wüste, deren grauenhafte Oede durch die Sonnenuntergänge mit ihren Beleuchtungseffekten und durch die phantastischen Wolkenbildungen, die ihre grotesken Schatten über die Landschaft werfen, unendlich exotisch wirkt. Nur der so echt menschliche Drang nach dem Golde – hier nach dem weißen Golde, dem Salpeter, – kann Menschen dazu bringen, in einer Gegend auszuhalten, wo das Auge rundum keinen einzigen Grashalm entdeckt - außer in den künstlichen Gärten der leitenden Beamten – und wo man sämtliche Lebensmittel mit der Eisenbahn kommen lassen muß. Infolge der hohen Lage der Salpeterpampa am Abhange der Kordillere sinkt in den Nächten des Winters die Temperatur bis zu zehn Grad unter Null und steigt in den Mittagsstunden des Sommers bis zu fünfzig Grad über Null., so daß es klimatische Unterschiede gibt, die an einem einzigen Tag oft recht erheblich sind und bei vielen Bewohnern Darmerkrankungen hervorrufen. Auch gibt es weder Quell- noch Grundwasser. Das Wasser kommt aus der ebenfalls regenlosen Kordillere, wo sich aus dem ständigen Nebelmeer einzelne Wassertropfen absetzen. Die winzigen Rinnsale von Fadenstärke, die in den Falten dieses Gebirgszuges abwärtsrieseln, werden mühselig in Sammelstellen, sogenannten Aguadas, gefaßt. Diese liegen oft zehn Kilometer weit voneinander entfernt und erstrecken sich über einen Bereich von hundert Kilometern. Da die Oficina außer ihrem enormen Verbrauch an Wasser für die Lauge und außerdem für ihr riesiges Personal viele Kubikmeter Wasser täglich benötigt, kann man sich vorstellen, welche unendliche Schwierigkeit die Aufbringung dieser Wassermenge bietet. Die gemeinsame Hauptleitung, die infolge ihres großen Gefälles unter einem Druck von vierzig bis fünfzig Atmosphären steht, muß täglich von Reitern abgesucht werden. Außerdem steht auf jedem der kleinen grünen Wiesenfleckchen, die in der Pampa auf jeder Sammelstelle wunderbares Zeugnis von der Macht des Wassers ablegen, das Haus eines Wächters. Diese Wasserwächter haben eine beispiellose Verantwortung zu tragen, denn das Versanden der Wasserrinne würde für alle in der Pampa lebenden Menschen eine augenblickliche Katastrophe bedeuten. In dieser vegetationslosen Wüste leben nur wenige flinke Tiere, die nach dem Hauptberge der ganzen Gegend Guanaco heißen und von denen manchesmal ein junges Tier mit der Flasche in einer der Oficinen aufgezogen wird.

Mit Feldbahnen wird der Salpeter in graugelben Klumpen, Caliche genannt, aus der Pampa gebracht, wo er ein bis zwei Meter unter der Oberfläche liegt. Die gewöhnliche Vorstellung des Europäers von dem weißglitzernden Felde, auf dem die Salpeterkristalle frei herumliegen, erfährt durch den Anblick der monotonen gelben und nackten Erdoberfläche eine bittere Enttäuschung; zuerst wird ein Sprengloch gebohrt, dann erfolgt die Sprengung, die wie eine riesige gelbe Fontäne aussieht. Die Bänke zu dreißig und vierzig Prozent sind längst erschöpft, die bearbeitete Caliche enthält etwa zwölf bis fünfzehn Prozent, der in der Oficina ausgelaugt wird. Erst im fertigen Zustande nimmt der Salpeter auf der Trockenstelle die bekannte weiße Farbe an.

Die Compania Salitrera de Taltal hat im Vorjahre auf etwa dreitausend Meter Höhe am Fuße des berühmten Berges Guanaco auch eine Kupfermine in Betrieb gesetzt, wozu sie alle Maschinen aus Hamburg kommen ließ.

Der Berg Guanaco war einmal von Goldadern durchzogen, und man kann auch jetzt den Eingang einzelner Minen sehen. Damals war der ganze Berg die Tummelstätte zahlloser Goldgräber, die ihr jämmerlich erschuftetes Geld sofort wieder verjubelten; um es ihnen abzunehmen, hatte sich am Fuße des Berges eigens ein Dorf gebildet, von dessen tollen Spielhöllen und Bars nunmehr nichts übrig ist als der trostlose Anblick einer toten Stadt in der Wüste. Nur der in der ganzen Gegend berühmte Garten, der ebenfalls aus jener reichen Zeit stammt und den der erste Goldaufbereiter namens Hinze unter einem Wellblechschutz mit unendlicher Mühe angelegt hat, gedeiht auch heute noch. Die Humuserde, die Hinze heraufschaffen ließ, wurde durch das Kultivieren niederer Pflanzen in kunstvoller Weise zu Gartenerde gemacht. Von diesem Hinze erzählt die Legende, er sei bei einer Wanderung über den Guanaco plötzlich stehen geblieben, habe mit dem Fuß gestampft und gesagt:"Hier ist Gold." Das sei die Entdeckung der weltberühmten reichen Goldader von Guanaco gewesen. In Wirklichkeit war Herr Hinze lange nach der Entdeckung des Goldes gekommen, denn schon vor hundert Jahren hatten die Carretieros, die Karrenführer von den Silberminen, "schmutziges Silber" gefunden, das sie billiger als "gutes Silber" hergaben, ohne zu ahnen, daß es sich um Gold handle.

Die der Compania nahestehende Silbermine Cachinal ist die letzte menschliche Ansiedlung nahe der Hochkordillere in einer Höhe von dreitausend Metern über dem Meere. Hinter einer Wellblechschutzwand versucht die Frau des Verwalters auch hier noch eine Art von Garten zum Gedeihen zu bringen.

Wir legten den Weg nach Cachinal in einem Lastauto zurück, mit dem wir ohne Weg durch die Pampa fuhren. Seit einem Jahre erst gibt es dieses Auto hier, und vorher hatte sich der ganze Verkehr zu Pferde abgewickelt. Als wir unterwegs eine Panne hatten und ich fragte, wie wir weiterkommen würden, antwortete mir der Chefingenieur Reelfs der Firma: "Wir nehmen uns eben ein anderes Auto." Nur wer weiß, daß es hier kein anderes Auto gibt, kann den grimmigen Humor dieser Antwort erfassen. Leider hat seither ein Sturz vom Pferde diesen wackeren Deutschen getötet. Fünfzehn Jahre lang hatte er in der Pampa sein Bestes gegeben, um einmal in Deutschland sorgenfrei alt werden zu können. Nun hat die Pampa Herrn Reelfs für immer behalten.

Wer die großartigen, mit deutschem Material ausgebauten Werke in unendlicher Entfernung von der Heimat jeder Schwierigkeit und jedem Wettbewerb anderer Völker die Stirn bieten sieht, wer das Glück hat, mit seiner eigenen Kamera die Bilder der steten Vergrößerung deutschen Arbeitsgebietes aufnehmen zu dürfen, der neigt sich in Anerkennung vor dem deutschen Volk, das trotz härtester Kriegsnot seine Stellung im Auslande unverändert aufrechterhält.

Alice Schalek, Wien

(Hamburger Fremdenblatt. Sonnabend, 13. Februar 1926. Abend-Ausgabe)
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