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Intifada – Auf dem Weg nach Palästina

Der Film "Intifada – Auf dem Weg nach Palästina" von Robert Krieg ist eine Aneinanderreihung von Landschaftsaufnahmen und ruhigen, unspektakulären Szenen in der Westbank im Frühjahr 1989. Der Markt eines kleinen Dorfes in der Nähe von Bethlehem zeigt die Gesichter der Menschen, die dort mit der Intifada leben und arbeiten.

Nach 20 Jahren israelischer Besatzung erfüllt sie neues Selbstbewußtsein, gegen das das Militär kein Mittel hat: Schußwaffen und Tränengas stören die Marktbesucher nur unwesentlich. Nach dem Abschuß von Gasgranaten greifen die Palästinenser zu ihren Taschentüchern, der Obsthändler verteilt Zitronen, der Barbier reicht die Parfümflasche herum. Es kommt keine Panik (mehr?) auf, gelassen gehen alle nach Hause.

Dorfbewohner erzählen von ihren Erfahrungen mit der Besatzung: vom Sohn, der auf dem Weg zum Markt von einem "herabfallenden" Stein getötet wurde (die israelischen Besatzer kontrollieren von den Dächern der Häuser aus die Bewegungen der Palästinensern), vom Jungen, der nie wieder wird laufen können, weil ein Gummigeschoß sein Bein zertrümmert hat. Der alte Mann berichtet von einem Tränengasangriff im Innenhof seines Hauses, der Lehrer von den Kindern, denen das Lernen verboten wird. Der Apotheker berichtet von der "Konfiskation" seiner Waren im Wert von 5000 Dinar, obwohl er nur 300 Dinar Steuern "schuldig" war. Ein Jugendlicher wird vom Dach eines Hauses aus von einem israelischen Soldaten gezwungen, nicht weiterzugehen, er habe einen Stein geworfen. Die dazukommenden Frauen können die Soldaten nicht von seiner Unschuld überzeugen. Er wird abgeführt. Aber auch die andere Seite der Intifada wird gezeigt. Die Steine auf israelische Militärfahrzeuge sind nur ein Teil der Intifada. Um den Boykott israelischer Waren durchhalten zu können, bewirtschaften die Dorfbewohner gemeinsam neu angelegte Gemüsefelder. Dies ist kein Zeichen von Armut mehr wie noch vor drei Jahren. Es ist der neue Stolz, den Besatzern zu trotzen. Der entlassene Dorflehrer hat einen kleinen Hühnerstall und ein paar Schafe. Die Produkte gibt er zum Selbstkostenpreis an die Nachbarn ab. Eine Schreinerei arbeitet im verborgenen mit drei Mitarbeitern weiter. Sie wurde von den Israelis geschlossen, weil der Besitzer keine Steuern an den israelischen Staat zahlen wollte.

Die Organisation der Intifada bekommt konkrete Züge. Die Menschen werden uns gezeigt. Da ist das versteckte Lager für Getreide und Hülsenfrüchte. Es soll und kann im Fall einer Ausgangssperre die Dorfbewohner für längere Zeit versorgen. Jugendliche werden sich in einer solchen Situation um die Verteilung der Waren kümmern. Sie sind es, die in der Nacht von den Dächern aus die Bewegungen des Militärs beobachten und den Schutz der Bevölkerung -so gut es geht – gewährleisten. Sie sind Informationsbörse und Flugblattverteiler. Ein illegal betriebener Kuhstall versorgt inzwischen die gesamte Umgegend mit Milchprodukten. Auch die Intifada-Klinik mit Ärzten und medizinischem Personal aus Gesundheitskomitees ist ein Teil des Widerstands. Die Gesundheitskomitees sind über Jahre der Arbeit inzwischen so anerkannt, daß selbst die israelischen Besatzer nichts gegen ihre Arbeit tun können. Auf einer Sitzung der örtlichen Leitung der Vereinigten Nationalen Führung kommen die Aufgaben der verschiedenen Komitees zur Sprache, aber auch die Organisierung der Hochzeit von Abu Samt.

Diese Alltagsbilder werden von Landschaftsaufnahmen mit eingespielter palästinensischer Musik abgelöst, die dem/der Zuschauerln Ruhe für das Gesehene lassen. Sie zeigen ein Volk im Aufstand. Der Widerspruch von Alltäglichem für die Palästinenser und Aufrüttelndem für uns wird von den gesprochenen Texten nicht aufgehoben. Der Kommentar gibt nur wenige, zum Verständnis des Verhaltens der Palästinenser notwendige Fakten. Der Regisseur steht auf der Seite der Palästinenser, identifiziert sich aber nicht mit ihrer Sache. Diese Distanz mag manchem Betrachter nicht gefallen, mir aber erscheint sie angemessener als manch "kämpferischer" Kommentar.

Nur an einer Stelle – und dazu noch ärgerlich – tritt der Regisseur aus dieser Rolle heraus: Er bezeichnet die Arbeit des Frauenkomitees, Kinderkleidung zu nähen, als emanzipatorischen Akt. Dabei bleibt unklar, ob er seine eigene Meinung oder das Selbstverständnis des Frauenkomitees wiedergibt.

Der Film vermittelt den ZuschauerInnen – auch denen, die sich mit Palästina / Israel beschäftigt haben – ein neues Bild vom Land, ein Gefühl für die Menschen, die unter den Bedingungen der Intifada leben. In der Organisierung des Alltags scheint die Struktur des neuen Staates Palästina durch. Der Film ist eine Momentaufnahme der Situation im Frühjahr 1989, keine historische oder politische Analyse, wie es zu dieser Situation gekommen ist. Es wird keine konkrete politische Perspektive gegeben, wohin die Intifada führen soll. In den Gesprächen mit den Palästinensern wird auch nicht versucht, sie zu Aussagen in dieser Richtung zu bewegen. Daß der Weg noch lang und schwer ist, daß die Bevölkerung zunächst nicht mehr will, als die Besetzer loswerden, spricht aus den Schilderungen. Die Befürchtung des Filmemachers, ein Staat Palästina auf Westbank und Gazastreifen könne ökonomisch nicht überleben, beantwortet ein Palästinenser lächelnd mit dem Hinweis auf reiche Palästinenser im Exil und die arabischen Staaten, die eine Abhängigkeit vom "Westen" nicht zulassen würden. Politische Gruppen, Vertreter der Parteien oder Führer der PLO werden nicht gefragt. Das Ende des Films – aufgenommen in der Nacht vom Posten eines Mitglieds des Wachkomitees aus – zeigt brennende Autoreifen. Der Kommentator sagt: Ohne Intifada kein Frieden.

"Intifada – Auf dem Weg nach Palästina" ist kein kämpferischer Film, der die Heldenhaftigkeit des Widerstandes bejubelt. Er kann jedem Publikum gezeigt werden, ohne daß er eine direkte Aktion fordert. Anfang und Schluß des Films greifen auf die Vorstellung vom "Heiligen Land" und dem "Frieden auf Erden" zurück, was manchen irritieren mag, aber nur dann verurteilt werden kann, wenn mensch die Bilder und Worte nicht hat wirken lassen. Durch den Rückgriff auf biblische Traditionen kann der Film auch einem Publikum gezeigt werden, das dem Thema zunächst skeptisch gegenübersteht. Nur gehören dazu gut aufbereitete Hintergrundinformationen, um die Zuschauerinnen nicht nur "betroffen" nach Hause gehen zu lassen. Sinnvoll wäre eine Diskussion um Handlungsmöglichkeiten, Aktionen etc. Sie müßte mit den Zuschauern nach einer Vorführung geführt werden.

(re.)

ak (Hamburg), 21. August 1989
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