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Zwei Jahre Intifada

Auf dem Weg nach Palästina

Am 8. Dezember ist es zwei Jahre her, daß palästinensische Frauen, Kinder und Männer in den von Israel besetzten Gebieten, der Westbank und dem Gaza-Streifen, begannen, mit Steinen, Molotowcocktails und Streiks gegen die nun 22 Jahre andauernde Besatzung Israels und für einen freien, unabhängigen palästinensischen Staat zu kämpfen. Robert Kriegs Film "lntifada – Auf dem Weg nach Palästina" dokumentiert jenseits von Kriegsberichterstattung, politischer Analyse und Ausgewogenheit den Alltag während der Intifada.

Punkt 12 Uhr krachen die großen Eisentore der Geschäfte ins Schloß. Die arabischen Händler verschließen ihre Auslagen und Geschäfte. Der sonst von Gerüchen, Stimmen, Menschen und optischen Reizen berstende Suq gleicht einer Geisterstadt.

Die Einhaltung der auf die Vormittagsstunden reduzierten Öffnungszeiten, befohlen von der vereinigten Führung der Intifada, ist ein Teil des waffenlosen Aufstandes der Palästinenser, der am 8. Dezember 1987 mit einem Verkehrsunfall begann.

An einer der Straßensperren der israelischen Armee, die an der "Grünen Linie" zwischen Israel und Gaza errichtet wurden, um die Autos mit den blauen Nummernschildern der besetzten Gebiete zu kontrollieren, fuhr ein israelisches Militärfahrzeug in eine Schlange wartender palästinensischer Wagen. Vier Palästinenser wurden getötet, sieben verletzt. Am Tag zuvor war im Gaza ein israelischer Geschäftsmann auf offener Straße erstochen worden. Die Bewohner dieses kleinen Gebietes, mit der höchsten Bevölkerungsdichte der Welt und Flüchtlingslagern, in denen bis zu 60 000 Menschen ohne Kanalisation, unter unerträglichen Lebensverhältnissen vegetieren, verstanden den Unfall als Racheakt der Israelis. Die Toten wurden zu Märtyrern, ihre Beerdigung zu einer gewaltigen Demonstration gegen die Besatzung. Der Protest griff wie ein Lauffeuer um sich und erreichte in kurzer Zeit auch die Westbank.

Das israelische Militär reagierte auf die Demonstrationen unangemessen hart mit Tränengas, Gummigeschossen und scharfer Munition.

Um die seit dem "6-Tage-Krieg" '67 anhaltende trügerische Ruhe in den besetzten Gebieten wieder herzustellen, begann eine der schlagkräftigsten Armeen der Weit einen hilflosen Krieg gegen ein unbewaffnetes Volk. Während des zwei Jahre anhaltenden Aufstandes wurden über 500 Menschen getötet, die meisten davon junge Palästinenser. Ein Ende ist nicht abzusehen. Es ist viel diskutiert worden in diesen zwei Jahren in Israel, in Europa und Amerika. Die Bilder, die in den ersten Monaten der Intifada fast täglich in die Wohnstuben flimmerten und auf den Titelblättern aller Zeitschriften veröffentlicht wurden – von Kindern und Frauen, die mit Steinen bewaffnet einer gut gerüsteten Armee den Kampf angesagt haben – hat einen Aufschrei der Entrüstung hervorgerufen. Der multimedial verbreitete Kampf Davids gegen Goliath hat den Sympathien keine Wahl gelassen.

Mittlerweile ist die Intifada aus den Schlagzeilen der westlichen Presse weitgehend verschwunden. Doch die Szenen, die sich tagtäglich in den besetzten Gebieten abspielen, haben sich nicht geändert. Sie sind zum Alltag geworden, für die Bewohner in der Westbank und dem Gaza, aber auch in Israel. Der Filmemacher Robert Krieg hat im Frühjahr '89 in Beit Sahur, einer kleinen Stadt in der Nähe von Bethlehem, das Leben während der Intifada unspektakulär dokumentiert. Der Dokumentarfilm "lntifada – Auf dem Weg nach Palästina" verläßt die Perspektive der Frontberichterstattung im Schatten der israelischen Soldaten und zeigt Bilder aus dem Dorfalltag. "Friede sei unter den Menschen", ist der erste Satz des Films, der mit ruhigen Landschaftsbildern und einem pflügenden Bauern beginnt. Ein Militärhubschrauber durchbricht die Idylle. Der Einkauf auf dem Markt wird von Tränengasschwaden unterbrochen. Eine Familie berichtet von der Ermordung ihres Sohnes, ein Mann wird verhaftet. Über die Verletzung eines 14jährigen Jungen wird berichtet, den Steuerboykott eines Apothekers und über den Aufbau einer von Israel unabhängigen Infrastruktur eines zukünftigen palästinensischen Staates: geheime Getreidelager, eine Schreinerei, ein Krankenhaus, ambulante ärztliche Versorgung, Tierhaltung, Frauenkomitees, mit denen die Frauen nicht nur die Intifada unterstützen, sondern gleichzeitig aus der starren patriachalischen Gesellschaft ausbrechen.

Der Film versucht keine politische Analyse. Er hat auch nicht den Anspruch der Ausgewogenheit. Er bezieht Position, indem er die ansonsten hinter Palästinensertüchern verborgenen Gesichter zeigt und ihnen ihr individuelles Profil gibt. Die Brutalität der israelischen Armee taucht in ihren Ergebnissen, den Verletzten und Toten auf. Die Auseinandersetzung innerhalb Israels zwischen Befürwortern der Besatzung und Gegnern wie "Shalom akschav" (Frieden jetzt) sind völlig ausgespart. Ein Vorgehen, das bei israelischen Linken häufig als verkappter Antisemitismus der Deutschen kritisiert wird. Robert Krieg hat einen Film über den Alltag während der Intifada in einer Stadt in der Westbank gedreht. Der Film über den Alltag während der Intifada in Israel steht noch aus.

"Intifada – Auf dem Weg nach Palästina" läuft vom 7.-13.12. täglich um 18.30 Uhr in der Filmbühne am Steinplatz, in Zusammenarbeit mit dem BAZ werden nach jeder Vorstellung Referate und Diskussionen stattfinden. Genaue Termine siehe Tagesprogramm

Ute Frings

zitty – illustrierte Stadtzeitung (Berlin), Nr. 25 / 1989
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