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Europa war so nah

In: "Die Story", WDR.

Euphorie herrschte gewiss nicht, als der Nato-Generalsekretär am 24. März 1999 den Einsatzbefehl für Nato-Luftangriffe auf das Territorium von Ex-Jugoslawien gab. Bundesaußenminister Joschka Fischer, zwischen Scylla und Charybdis stehend, forderte auf dem denkwürdigen Parteitag im Mai 1999 in Hannover Solidarität von seiner Basis ein: “Ich sage euch: Ich halte zum jetzigen Zeitpunkt eine einseitige Einstellung, eine unbefristete Einstellung der Bombenangriffe für das grundfalsche Signal. Milosevic würde dann nur gestärkt und nicht geschwächt. Ich werde das nicht umsetzen, wenn ihr das beschließt.“ Ein Jahr später zeigte sich, dass bei den Bombenangriffen auf Belgrad, Bodgorica, Raska oder Cacak nicht nur die Menschenrechte gegen einen Diktator verteidigt wurden, sondern grundlegende Fehler beim Kampf gegen den Staatsterrorismus gemacht worden waren.

Die Vernichtung von „serbischen“ Industrieanlagen und der Infrastruktur betraf eben auch jene Bevölkerungsschichten, die mit ganz bescheidenen, demokratischen und humanen Mitteln gegen das Gewaltregime in Belgrad zu widerstehen suchten. Am 1. April 1999 wurde die Donaubrücke von Novi Sad durch Kampfflugzeuge vernichtet und damit auch eine Metropole getroffen, die mehrheitlich gegen Milosevic opponierte. Bis heute sind die materiellen Schäden nicht behoben, und der Diktator nutzt alle Möglichkeiten, um die Aufbaugelder in seinem Sinne umzukehren.

Von diesem Desaster einer an vielen Ecken gescheiterten Nato-Politik berichteten die Autoren Monika Nolte und Robert Krieg in äußerst eindringlichen Sequenzen. „Wenn die Milosevic stürzen wollen, dann sollen sie ihn stürzen und nicht unsere Brücken“, lautete es in einem bitteren Kommentar. Das ehemals multikulturelle Zentrum Novi Sad, so die Einlassungen der Interviewten, fühlt sich „verraten“ von einem Europa, das seiner selbstgesteckten Verantwortung nicht gerecht geworden ist und sich dem Diktat eines vermeintlich gerechten Krieges blind beugte: „Die Bombardierung hat nur ihm geholfen, alles, was der Westen macht, hilft nur ihm.“ Der Beitrag zeigte in prägnanten Bildern die Ohnmacht einer Bombenpolitik, die notwendigerweise auch jene Menschen verbitterte, die an die Verheißungen der Demokratie und des Westens zu glauben bereit waren.

Christian Hörburger

Funkkorrespondenz 25/00, 23. Juni 2000
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