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Im Osten nichts Neues?

Kriegs gefilmte Bestandsaufnahme

Zahlreich sind sie geworden, die filmischen Momentaufnahmen, die neugierigen, bisweilen kurzsichtigen Blicke über die Grenze zur ehemaligen DDR hinweg, über eine Mauer, die nicht mehr existiert, und die uns heute manchmal doch höher erscheint, als die sozialistischen Betonköpfe sie jemals selbst hätten hochziehen können.

Robert Krieg, Filmregisseur aus Münster, hat mit seiner Langzeitdokumentation einen anderen Weg und ein anderes Zeitmaß gewählt, und er entlarvt mehr als nur den Augenblick: Zwischen Februar 1990 und September 1991 machte er sich im Raum Zwickau auf Spurensuche nach den Hoffnungen und Wünschen der Menschen, die nach der Revolution an den dritten Weg geglaubt haben – den Mittelweg zwischen real erledigtem Sozialismus und real existierendem Kapitalismus. Am Montagabend war im Schloßtheater Premiere dieser Bestandsaufnahme, und wie der Titel "Besetzter Traum" erahnen läßt, hat sich der Dokumentarist auf die Seite derer geschlagen, die nun seit Monaten von "Treuhand", westlichen Wirtschafts-Desperados und Polit-Okkupanten "abgewickelt" werden.

"Besetzter Traum" ist eine vielschichtige Zeitraffer-Studie: ein seelisch-moralischer Verfassungsbericht und ein parteiergreifendes Drama über den Gang der Dinge von innen heraus, ein brisanter Trümmerfilm über gescheiterte Existenzen und ein bedrückendes Melodram über die politischen Aktivisten der ersten Stunde, die trotzdem zu spät gekommen sind und die nun die Geschichte um so härter bestraft.

Zum Beispiel Susanne Trauer, deren Utopie vom politischen Neuanfang in ihrem Land im Wiedervereinigungstaumel überrollt wurde. Aus dem Kampf in vorderster Linie – Montagsdemo, Neues Forum, Runder Tisch – ist nur noch die Sozialarbeit übriggeblieben. Nischenarbeit, weil die eigentlichen Machtbereiche längst durch andere besetzt worden sind. Aber selbst für Reinhard Kuban, immerhin vom Parteisekretär einer Blockpartei zum Leiter des Sozialamts Zwickau "aufgestiegen", hat sich der Traum von einer anderen Demokratie nicht erfüllt. Statt Volksentscheid und mehr Mitbestimmung wurde nur das westliche Politik-Mäntelchen auf das östliche Gerippe gestülpt. Und die Worte von Erwin Killat, Rentner und Landesgeschäftführer von BÜNDNIS 90, klingen eher skeptisch als optimistisch: "Freiheit haben wir gewollt, jetzt müssen uns ihr aussetzen."

Für Robert Krieg ist der Film, der durch die Landesfilmförderung NW und mit Mitteln der Filmwerkstatt Münster realisiert werden konnte, nur eine vorläufige Bewertung der Ereignisse in Ostdeutschland. Nach knapp zweijähriger Recherche hat eine These von Hannah Arendt für ihn noch immer Bestand: "Das Höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, daß es so und nicht anders gewesen ist, und dann zu sehen und abzuwarten, was sich daraus ergibt." Da klingt Resignation mit und das bißchen Hoffnung, was den Träumern mit Besatzerproblemen noch geblieben ist.

"Besetzter Traum" läuft ab Donnerstag im Schloßtheater.

Klaus-Peter Hess

Münstersche Zeitung, 6. November 1991
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