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„Klar, gab es Tote, aber nur in den ersten Tagen“

Robert Krieg und Gabriele Wojtiniak über Chile, den Militärputsch und das Land heute

Fast entspricht der Film in Rhythmus und Tempo der melancholischen Rumba, die ihn einleitet. Da wird der Blick bedächtig, aber scheinbar zusammenhanglos auf verschiedene Männer gerichtet, alle etwas korpulent geworden und nicht mehr ganz so durchtrainiert, wie auf den alten Fotos, dafür mit umso mehr Lebenserfahrung in den Gesichtern – Männer in den sogenannten besten Jahren.

Der Blick fällt auf Enrique Ramos, den seine Mutter bei der Heimkehr nicht wiedererkannte. Oder auf Juan Osses, den Trainer der Kajak-Nationalmannschaft, den aus politischen Gründen zunächst niemand einstellen wollte. Die Kamera folgt Isidro Garcia in seine kleine Autowerkstatt irgendwo am Rande von Santiago und Arismando Munoz in seine Ferienanlage an der Küste.

Erst allmählich werden die filmischen Bruchstückchen zu einem Ganzen, und es klärt sich auf, was diese Männer gemeinsam haben. Sie alle waren Mitglieder der GAP, der Grupo de Amigos Personales, der Leibgarde Salvador Allendes, die bis zuletzt versuchte, ihren Präsidenten vor dem Angriff der Putschisten zu verteidigen. Und sie alle sind nach Jahren der Verfolgung und des Exils zurückgekehrt nach Chile. In ein Land, das selbst heute noch – nach der Verhaftung Pinochets in London – gespalten bleibt in Gegner und Anhänger des Diktators von gestern. In ihrem 60minütigen Dokumentarfilm "Adios General" haben Robert Krieg und Gabriele Wojtiniak die Erinnerung in den Mittelpunkt gestellt. Immer wieder lassen sie Enrique, Juan, Isidro, Arismando schildern, wie sie persönlich den 11. September 1973 erlebten, den Tag, als die Militärs die Moneda, das chilenische Parlamentsgebäude, bombardierten und der demokratisch gewählten Regierung Allendes ein blutiges Ende bereiteten.

Juan erinnert sich, wie die Männer am Morgen Jeans und Pullover anzogen, "weil uns das zum Kämpfen am geeignetsten erschien". Später wurde er selbst verhaftet, ins Nationalstadion von Santiago gebracht und gefoltert. Nur wie durch ein Wunder entkam Juan dem Tod und konnte in die DDR fliehen. Auch Isidro Garcia entging dem Zugriff der Militärs. Viele ihrer Freunde jedoch wurden zu Tode gefoltert oder erschossen und dann in einem Massengrab in der Hauptstadt verscharrt.

Im Film werden die persönlichen Schilderungen mit historischen Archivbildern unterlegt. Und sie werden kontrastiert mit den Aussagen der anderen, derer, die General Pinochet bis heute für einen großen Staatsmann halten. So wie Hernan Briones von der Präsidenten-Stiftung Pinochet. "Klar gab es Tote. Aber nur in den ersten sechs Tagen. Doch da war schließlich Krieg", sagt Briones. Auch für Tito Aguirre ist Pinochet nicht der Schuldige, sondern der Präsident, der Chile den wirtschaftlichen Aufschwung bescherte.

Zuweilen ist es für den Zuschauer schwierig, die Vielfalt der Gesichter, Lebensschicksale und Aussagen, die der Film einfängt, auseinanderzuhalten. Wer sich aber nicht verwirren läßt, der bekommt einen Einblick in das heutige Chile. Ein Land, in dem trotz aller ideologischen Gräben auch real existierender Pragmatismus gelebt wird: Restaurantbesitzer und Pinochet-Anhänger Tito und Arismando, der Ex-GAP-Mann mit der Ferienanlage, sind Geschäftspartner.

Monika Hoegen

Frankfurter Rundschau, 4. Oktober 1999
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